Starke Verben adieu?

zwitschern – tschurr zwi – zwigetschurn 

In neuhochdeutscher Zeit bleibt die Gruppe der starken Verben nicht nur unproduktiv – sie geht sogar zurück. So ist zu beobachten, dass ehemals starke Verben in die Klasse der schwachen Verben oder Mischverben übergehen (z.B. backen: backte für buk; saugen: saugte für sog; fragen: fragte für frug; melken: melkte für molk). Es besteht aber kein Grund zur Sorge, dass die starken Verben ganz verschwinden könnten, da sie zentrale Bereiche unseres Wortschatzes abdecken. Und nicht zuletzt wacht auch die „Gesellschaft zur Stärkung der Verben“ über ihren Bestand. 

Die Gesellschaft zur Stärkung der Verben Die Gesellschaft zur Stärkung der Verben versteht sich als „Anlaufstelle für schwache und geknochtene Verben aller Sprachen“ und stellt einen humorvollen Versuch dar, neue unregelmäßige Verben einzuführen. Der Kern ihrer Arbeit besteht darin, regelmäßige Verben kreativ zu stärken, wie die folgenden Beispiele demonstrieren sollen. 

Infinitiv – Präteritum – Partizip 
arbeiten – bitt ar – argebitten

baden – bud – gebaden

bügeln – bulg – gebulgen

donnern – durnn – gedurnnen

erklären – erklur – erkluren

hindern – harnd – gehornden

lächeln – lielch – gelilchen

melden – mald – gemolden

nähen – nand – genanden

nützen – nuß – genussen

parken – purk – gepurken

quasseln – quolß – gequolßen

tanzen – tunz - getunzen

umzingeln – umzalng – umzolngen

zwitschern – tschurr zwi – zwigetschurn
 

Tipps:
Werner  König: „dtv-Atlas Deutsche Sprache“;
Helmut Glück/Wolfgang Sauer: „Gegenwartsdeutsch“;

http://verben.texttheater.de

 

Faszinierende rhetorische Figuren

„Ich heiße Barbara und Sie herzlich im Wunderland Deutsch willkommen.“ 

„Erst ging ihm das Schuhband und dann ein Licht auf.“ – „Der König sagte: ‚Entweder schlage ich dir diesen Wunsch oder gleich deinen Kopf ab.‘“ – „Ich brachte mein Gepäck ins Abteil und mein Erstaunen zum Ausdruck.“ – „Zuerst schlug er ihm ins Gesicht und dann den falschen Weg ein.“ 

Zeugmata im traditionellen und modernen Sinn 

Das sind Zeugmata (griech. zeugma = „Joch“, „das Zusammengespannte“) und somit faszinierende rhetorische Figuren. Im traditionellen Sinn verwendet man die Wortfigur so, dass das gemeinsame Verb in Satzverbindungen nur einmal gesetzt wird (z. B. „Die Begierde besiegte die Scham, die Verwegenheit die Furcht, der Wahnwitz die Vernunft.“).

Moderne Zeugmata haben eine leichte Wandlung durchgemacht: sie sind unlogische, oft sprachwidrige Verbindungen von zwei oder mehreren Ausdrücken durch Einsparung eines logisch notwendigen Satzgliedes (meist eines Verbs). Idealer Ausgangspunkt für ein Zeugma ist ein mehrdeutiges Verb, das in den verschiedenen Ausdrücken, die man verknüpfen möchte, unterschiedliche Bedeutungen hat. Meist enthält die rhetorische Figur zwei Substantive, die auf ironische oder satirische Weise durch ein Verb verbunden sind, das in einem Fall konkrete und im anderen Fall übertragene Bedeutung hat.  

Anleitung zum Erstellen eines Zeugmas 

  1. Man überlege sich ein Verb, das entweder alleine oder in zusammengesetzten Verben auftreten kann (z.B. „heißen“/„willkommen heißen“); oder ein Verb, das mit verschiedenen trennbaren Vorsilben auftritt (z.B. „losgehen“, „heimgehen“ …); oder ein Verb, das unterschiedliche Bedeutungen hat (z.B. „aufgehen“: Schuhband, Licht).
  2. Man finde mindestens zwei passende Substantive für das Verb.
  3. Man formuliere einen Satz und achte darauf, das Verb nur einmal zu setzen.
  4. Man stelle das so entstandene Zeugma im Wunderland Deutsch online, damit sich auch andere an der Sprachspielerei erfreuen können.  

 

Weitere Beispiele für Zeugmata 

  • „Ich fror vor mich hin, denn nicht nur meine Mutter, auch der Ofen war ausgegangen.“ (H. Erhardt)
  • „Ich habe Pappbecher und den Nachmittag frei.“ (U. Eco)
  • „Er hob den Blick und ein Bein gen Himmel.“ (L. Sterne)
  • „Ich gehe aus, Baptist! Vor allem davon, dass Sie mir auf meine Talerchen achten!“ (Dagobert Duck)

 

Die Tragödie des Werwolfs

Wie die Deklination ein Familienglück zerstörte 

Werwölfe mag man nicht. Vor Werwölfen hat man Angst, man gruselt sich vor ihnen. Und niemals hat man Mitleid mit Werwölfen, wenn sie getrieben, gejagt und getötet werden.Was aber Christian Morgenstern seinen Werwolf in einem Gedicht erleben lässt, rührt fast zu Tränen.  

Der Werwolf  

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: "Bitte beuge mich!"

Der Dorfschullehrer stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

"Der Werwolf", sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den Wenwolf, - damit hat's ein End."
 

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle.
Er rollte seine Augenbälle.
"Indessen", bat er, "füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!"

Der Dorfschulmeister aber musste
gestehn, dass er von ihr nichts wusste.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

(Christian Morgenstern)

 

Liegt der Konjunktiv im Sterben?

Noch einmal Agonie 

„Noch haben wir […] diese „Möglichkeitsform“, den Konjunktiv, und können auf diese Weise unterscheiden zwischen dem, was wirklich ist, und dem, was geschehen könnte. Aber in hundert Jahren werden wir diesen Unterschied nicht mehr machen können, denn der Konjunktiv […] stirbt langsam aus.“ Diesen (zu frühen) Abgesang stimmte Ludwig Reiners 1943 in seiner „Stilkunst“ an. Mehr als die Hälfte der prognostizierten hundert Jahre sind schon vergangen und weder ein plötzliches Ableben noch ein langsames Siechtum unseres Konjunktivs ist zu befürchten.  

Veränderung statt Tod 

Stattdessen wandelt er sich in seiner Form und in seinen Funktionen. Häufiger als früher werden die Konjunktiv II-Formen mit „würde“ gebildet. Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass diese Form ökonomischer (leichter zu bilden) ist und andererseits klingen Formen wie „beföhle, flöhe, bewöge, schmölze, verhülfe“ usw. recht antiquiert.  

Hochburgen des Konjunktivs 

Das derzeit wichtigste Anwendungsgebiet des Konjunktivs ist die Nachrichtensprache, die sich mit seiner Hilfe in der indirekten Rede vom Gesagten distanziert. Mit der Verwendung der Konjunktivformen soll eine Aussage nur wiedergegeben werden – eine Gewähr für ihre Richtigkeit ist nicht inklusive. Inwiefern Leser und Hörer die Signale bei Verwendung des Konjunktivs wahrnehmen, ist eine andere Frage.

 

Der Junge, die Rübe und das Mädchen

Probleme mit dem Artikel 

Letzthin wurde ich erbost gefragt: „Sag mal, wieso heißt es eigentlich der Junge, aber das Mädchen? Da passt doch was nicht!“ Es ist richtig: Da passt was nicht und zwar stimmt das natürliche Geschlecht nicht mit dem grammatischen überein. Es gibt eine etymologische Erklärung dafür (aber „fairer“ wird es dadurch nicht): „Mädchen“ entstammt dem Diminutiv (= Verkleinerungsform eines Substantivs) von „Magd“ (im Ausdruck „Mädchen für alles“ ist diese Herkunft noch bemerkbar). Diminutive haben generell sächliche Artikel (das ist eine der wenigen Fixen Regeln im deutschen Genussystem) und somit heißt es auch das Mädchen.  

Mark Twain, der immer für ein erfrischendes Zitat gut ist, wenn es um Besonderheiten der deutschen Sprache geht, sieht die Spitzfindig- und Ungerechtigkeiten unseres Genussystems folgendermaßen: „Jedes Substantiv hat ein Geschlecht und in dessen Verteilung liegt kein Sinn und kein System. […] Im Deutschen hat ein Fräulein kein Geschlecht, während eine weiße Rübe eines hat. Man denke nur, auf welche übertriebene Verehrung der Rübe das deutet und auf welche dickfellige Respektlosigkeit dem Fräulein gegenüber. […] Ich übersetze das aus einer Unterhaltung in einem der besten deutschen Sonntagsschulbücher: Gretchen: ‚Wilhelm, wo ist die Rübe?‘ – Wilhelm: ‚Sie ist in die Küche gekommen.‘ – Gretchen: ‚Wo ist das gebildete und schöne englische Mädchen?‘ – Wilhelm: ‚Es ist in die Oper gegangen.‘“  

(aus: Mark Twain „Die schreckliche deutsche Sprache“)

 

Hitparade der deutschen Wörter

Eine Sprachstatistik 

Was ist das am häufigsten gebrauchte Wort der deutschen Sprache? In mühevoller Auszählarbeit hat Helmut Meier in den 1960er Jahren eine Liste der 207 häufigsten Wörter angelegt. Platz 207 geht dabei an „meiner“. Da eine vollständige Auflistung aber einen ermüdenden Effekt haben könnte, sollen hier nur die „häufigsten 10“ präsentiert werden: 

  • Platz 10: sie
  • Platz 9: von
  • Platz 8: nicht
  • Platz 7: das
  • Platz 6: den
  • Platz 5: zu
  • Platz 4: in
  • Platz 3: und
  • Platz 2: der
  • Platz 1: die

Verblüffend ist dabei vor allem, dass die 30 häufigsten Wörter 31,79% aller Wörter von Texten ausmachen (die 207 häufigsten sogar 54,35%!). Die Einsilber sind bei weitem die häufigsten Wörter und allgemein gilt die Regel: Je länger ein Wort, desto geringer seine Häufigkeit. Die häufigsten Substantive in dieser Auswertung sind „Zeit“, „Herr“, „Leben“ und „Jahre“, die häufigsten Verben „werden“, „sein“ und „haben“.

 

Verben mit unentschlossenen Partnern

Sie trennt sich, sie trennt sich nicht 

Eines der spitzfindigsten Themen der deutschen Grammatik ist jene Gruppe von Verben, die  trennbar und zugleich untrennbar sind. „Umfahren“ ist ein solches Verb und gleich wie die anderen Verben dieser Gruppe verfügt es je nach (Un-)Trennbarkeit über verschiedene Bedeutungen: Wird es untrennbar gebraucht („ich umfahre etwas“) bedeutet es, dass man um etwas außen herumfährt. In der trennbaren Variante („ich fahre etwas um“) bringt man mit seinem Fahrzeug etwas zu Fall. Das ist sprachlich ein kleiner, inhaltlich jedoch ein immenser Unterschied, vor allem wenn man das für die Beispielphrasen gebrauchte „etwas“ durch konkretere Objekte ersetzt. Ein weiteres Beispiel ist „durchschauen“. Die trennbare Variante („Er schaut durch den Spalt.“) wird im konkreten Sinn gebraucht, die untrennbare („Er durchschaut seinen Kollegen.“) im übertragenen Sinn.  

Allgemein gibt es sechs Vorsilben, die sich in Verbindung mit Verben unentschlossen zeigen: durch-, über-, um-, unter-, wider- und wieder-. Bei den trennbaren Formen liegt die Betonung auf der Vorsilbe und die ursprüngliche Bedeutung der Präposition (= Vorsilbe) bleibt weitgehend erhalten (‘untertauchen, ‘umwerfen). Die untrennbaren Varianten verlangen eine Betonung des Verbstamms und werden meist im übertragenen Sinn verwendet (z.B. unter’brechen, unter’suchen).

 

Wie die Blasen eines Ausschlags

Wir trennen, also sind wir!  

Womit kann man jedem Deutschlerner ein gequältes Stöhnen entlocken? Richtig! Mit den trennbaren Verben! Wie zu jeder Besonderheit der deutschen Sprache äußerte sich Mark Twain in seinem Aufsatz „Die schreckliche deutsche Sprache“ auch zu diesem sprachlichen Phänomen: „Die deutsche Grammatik ist übersät von trennbaren Verben wie von den Blasen eines Ausschlags; und je weiter die zwei Teile auseinandergezogen sind, desto zufriedener ist der Urheber des Verbrechens mit seinem Werk.“

Zur Untermauerung bringt er folgendes Zitat: „Da die Koffer nun bereit waren, REISTE er, nachdem er seine Mutter und Schwester geküsst und noch einmal sein angebetetes Gretchen an den Busen gedrückt hatte, die, in schlichten weißen Musselin gekleidet, mit einer einzigen Teerose in den weiten Wellen ihres üppigen braunen Haares, kraftlos die Stufen herab gewankt war, noch bleich von der Angst und Aufregung des vergangenen Abends, aber voller Sehnsucht, ihren armen, schmerzenden Kopf noch einmal an die Brust dessen zu legen, den sie inniger liebte als ihr Leben, AB.“  

Im Dschungel der Vorsilben

Es gibt genaue Regeln darüber, welche Vorsilben trennbar (z.B. ab-, an-, aus-, bei- … abfahren, ankommen, aussteigen, beistehenDer Zug fährt in drei Minuten ab.) und welche untrennbar (z.B. be-, emp-, ent-, er- … befragen, empfinden, entschließen, ertragenDer Polizist befragt den Zeugen.) sind. Daneben gibt es eine Reihe von Verben, deren Vorsilben sowohl trennbar als auch untrennbar sind (z.B. umfahren, durchbrechen usw.). Diese Verbgruppe ist so interessant, dass ihr demnächst ein eigener Artikel hier im Wunderland Deutsch gewidmet werden soll.

Achtung Präsens!

Wie das Präsens immer mächtiger wird 

Die Tempusformen des Deutschen sind sehr flexibel und stimmen mit den ihnen zugewiesenen Zeitstufen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) nicht immer überein: Die Verhältnisse sind bei weitem nicht so geordnet, wie die Termini Präteritum, Präsens, Futur usw. suggerieren. Die grammatischen Tempusformen sind mehrdeutig und entsprechen nicht sechs einfachen Zeitbedeutungen. Am deutlichsten zeigt sich dies beim heutigen Gebrauch des Präsens, das ein besonders großes Tätigkeitsfeld aufweist: 

10 Anwendungen des Präsens 

  1. Gegenwart: Sie liest ein Buch.
  2. Wiederholung: Sie kommt jeden Tag um sechs Uhr nach Hause.
  3. Zukunft (statt Futur I): Sie fährt morgen nach Frankfurt.
  4. Vermutung: Wahrscheinlich kommt sie zur Party.
  5. Dauer: Die Donau fließt ins Schwarze Meer.
  6. Allgemeingültigkeit: Geld ist ein wertvoller Rohstoff.
  7. Aufforderung (statt Imperativ): „Du kommst jetzt sofort her!“
  8. historisches Präsens: Am 14. Juli 1789 beginnt der Sturm auf die Bastille.
  9. registrierendes Präsens: 1543 – Kopernikus‘ Weltbild erscheint in gedruckter Form.
  10. In der Zukunft abgeschlossene Handlung: Sie kommt gleich wieder zurück.

Aus für das Futur I? 

Die Präsensformen untergraben v.a. den Wirkungsbereich des Futur I. In den meisten Fällen, in denen etwas Zukünftiges ausgedrückt werden soll, findet das Präsens samt Zeitangabe (morgen, nächste Woche, bald) Anwendung. Das Futur I wird deshalb nicht verschwinden. Es ist jedoch eine Entwicklung in Richtung modaler Bedeutung erkennbar (z.B. Sie wird später wohl die Bäckerei übernehmen).

Wörter wie alphabetische Prozessionen

Wenn Wörter eine Perspektive aufweisen 

Die deutsche Sprache ist ein fruchtbares Feld für Wortneuschöpfungen. Theoretisch ist es im Deutschen möglich, täglich ein Wort zu erfinden, das noch niemals zuvor jemand verwendet hat. Das ist fantastisch und  eine der augenfälligsten Besonderheiten des Deutschen. Und vor allem ist es den Komposita zu verdanken. 

Komposita sind zusammengesetzte Wörter wie z.B. Schriftzug oder Kinderbuch. Bemerkenswert dabei ist, dass nicht nur zwei Wörter zusammengesetzt werden können, sondern auch drei- und vierteilige Komposita keine Seltenheit darstellen (z.B. Frühlingsknotenblume, Kinderspielplatzwiese).  

Für Muttersprachler stellt das Zusammenfügen von Wörtern zu einem Kompositum kein Problem dar, weil die Notwendigkeit von Fugenlauten oder des implizierten Genitivs automatisch erkannt wird. So heißt es zwar Tagewerk, aber Tageslicht und Nachtlicht. Es hießt Kindergarten, Kindesentführung und Kindsmutter. Im Fremdsprachenerwerb müssen Komposita überwiegend als Ganzes gelernt werden, weil es keine generelle Regel für ihre Bildung gibt. 

Mark Twain – ihm wurde im Wunderland Deutsch bereits ein Artikel gewidmet – hatte wie die meisten Deutschlerner Schwierigkeiten mit dem Prinzip Kompositum. Die Länge der deutschen Wörter stellte für ihn die „seltsamste und merkwürdigste Besonderheit“ des Deutschen dar: Einige deutsche Wörter seien so lang, dass sie eine Perspektive aufweisen. Freundschaftsbezeigungen oder Stadtverordnetenversammlungen seien keine Wörter, sondern „alphabetische Prozessionen“: „Man kann jederzeit eine deutsche Zeitung aufschlagen und sie majestätisch quer über die Seite marschieren sehen.“ 

Das wohl berühmteste Kompositum ist Donaudampfschifffahrtskapitänskajüte samt Variationen. Und ein Videotipp für alle Barbaras: http://video.google.de/videoplay?docid=7984693450997973834

Tempusse, Visas und Abstraktums

... Pluralbildung heute  

Die Pluralbildung im Deutschen ist kompliziert. Muttersprachler merken das üblicherweise nicht, außer wenn es sich um Fremdwörter handelt. Da wird es plötzlich zunehmend komplizierter und es tauchen Formen wie Modusse, Genusse, Internas oder Visas auf.

Die Schwierigkeiten bei der Pluralbildung von Fremdwörtern führen dazu – und das ist ein Beweis für die besondere Flexibilität unserer Sprache, dass Wörterbücher Doppelformen einführen und sowohl die Stammflexion (z.B. Globen; identisch mit der Pluralform der Ausgangssprache) als auch die Grundformflexion (z.B. Globusse; Eingliederung in ein Pluralparadigma des Deutschen) verzeichnen. 

Beispiele hierfür sind etwa:

  • Atlas – Atlanten/Atlasse
  • Espresso – Espressi/Espressos
  • Pizza – Pizze/Pizzen/Pizzas
  • Konto – Konti/Konten/Kontos
  • Komma – Kommas/Kommata usw.

Andere Fälle der Analogiebildung dagegen sind systemwidrig wie die oben erwähnten Genusse, Visas, Tempusse, Modusse, Astraktums usw.

Kein Grund zur Aufregung  

Oft wird Bedauern darüber ausgedrückt, dass der Plural von Fremdwörtern „falsch“, d.h. einem deutschen Paradigma entsprechend, gebildet wird. Dem muss mit Bedauern ob des Unwissens entgegengehalten werden, dass der Prozess der Aufnahme von Fremdwörtern und der Eindeutschung ihrer Pluralformen schon einige Zeit währt. Oder benützt heute noch jemand Praxeis (statt Praxen), Radii (statt Radien), Epē (statt Epen), Alba (statt Alben) oder Villae (statt Villen)? Eben.

Buchtipp: Helmut Glück/Wolfgang Sauer: „Gegenwartsdeutsch“

 

 

Die zehn schwierigsten Grammatikthemen

Stolpersteine der deutschen Sprache

Wie schon Mark Twain befand, haben Deutschlerner mit einigen grammatikalischen Strukturen und Phänomenen mehr Probleme als mit anderen. Wo diese Probleme liegen, hängt in erster Linie davon ab, welche Muttersprache der Lerner spricht, welche anderen Sprachen er bereits gelernt hat und mit welcher persönlichen Einstellung er an das Unterfangen „Jetzt lerne ich Deutsch“ herangeht. Die Meinungen darüber, welche Grammatikthemen zu den schwierigsten der deutschen Sprache gehören, gehen weit auseinander: von Adjektivdeklination und Höflichkeitsform  über Funktionsverbgefüge, Imperativ und Genusregeln bis hin zu Groß- und Kleinschreibung und trennbaren Verben.

Eine definitive Liste der zehn schwierigsten Grammatikthemen kann es nicht geben, aber im Folgenden findet sich eine Zusammenstellung, eine „Hitparade“ der am häufigsten als schwierig bewerteten Bereiche der deutschen Sprache.

  1. Genussystem
  2. Wort- und Satzstellung
  3. Verbakkumulationen*
  4. Verben mit Vorsilben, Modalpartikel
  5. Präpositionen, Deklination
  6. Konjunktiv I, II, indirekte Rede
  7. reflexive Verben, Konjugation der starken Verben und Mischverben
  8. Komposita, Adjektivdeklination
  9. Pluralformen, Verwendung von „es“
  10. Passiv, Pronomen**

* Ein Beispiel eines Forumsteilnehmers: „Derjenige, der denjenigen, der den Pfahl, der an der Brücke, die an der Straße, die nach Bremen führt, liegt, steht, umgeworfen hat, anzeigt, erhält eine Belohnung.“

** Zu den Relativpronomen im Genitiv (deren, dessen) meinte ein Forumsteilnehmer, dass diese Konstruktion sogar seinem deutschen Freund zu schwierig sei: „Imagine: a grammatical construct that the German mind finds too complicated!“

Die schreckliche deutsche Sprache?

Die schwierigsten Grammatikthemen - Prolog mit Mark Twain

Es ist wahr, dass die deutsche Sprache nicht zu den einfach zu erlernenden Sprachen zählt. Sie hat durchaus ihre Raffinessen und Stolpersteine und bereitet so manchem Lerner erhebliche Schwierigkeiten. Aber nur selten verleiht jemand dem Ärger über diese Schwierigkeiten so laut und vehement Ausdruck wie Mark Twain in seinem Aufsatz „Die schreckliche deutsche Sprache“, der mit der Erkenntnis endet, dass die "deutsche Sprache sanft und ehrfurchtsvoll zu den toten Sprachen gelegt werden" solle, "denn nur die Toten haben die Zeit, diese Sprache zu lernen". 

Deutsch in 30 Jahren 

Zu diesem Schluss kam er auf Grund seiner philologischen Studien, die ihn davon überzeugten, „dass ein begabter Mann Englisch (ausgenommen Rechtschreibung und Aussprache) in dreißig Stunden lernen kann, Französisch in dreißig Tagen und Deutsch in dreißig Jahren." 

Was Mark Twain am schrecklichsten fand

Im Folgenden findet sich eine Zusammenstellung jener Aspekte der deutschen Sprache, die Mark Twain am schrecklichsten zu sein schienen.

  1. Die Suche nach dem richtigen Kasus (am meisten machte ihm der Dativ zu schaffen) verglich er mit der vergeblichen Suche nach einem Ararat, die im Treibsand endet.
  2. Die deutschen Sätze bezeichnete er als „erhabene und ehrfurchtsgebietende Kuriosität“, hasste ihre Parenthesen, Unterparenthesen, Überparenthesen und Hauptparenthesen und forderte einfache und geradlinige Erzählungen.
  3. Ein besonderes Ärgernis waren ihm die „Verbhäufungen“ am Ende von Sätzen („haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“).
  4. Die trennbaren Verben sah er als „Blasen eines Ausschlags“, von denen die deutsche Grammatik übersät sei.
  5. Im deutschen Genussystem erkannte er keinen Sinn und kein System und empfahl eine Reorganisation desselben „entsprechend dem Willen des Schöpfers“.
  6. Zur Adjektivdeklination merkte er folgendes an: „Wenn ein Deutscher ein Adjektiv in die Hände kriegt, dekliniert er es und dekliniert es immer weiter, bis der gesunde Menschenverstand ganz und gar herausdekliniert ist.“
  7. Die Komposita waren ihm ob ihrer schweren Verständlichkeit ein besonderer Dorn im Auge. Er bezeichnete sie als „alphabetische Prozession“ und unterstellte manchen von ihnen so lang zu sein, dass sie eine Perspektive aufweisen.
  8. Den Sinn und das System der Satzklammer konnte er nicht nachvollziehen und forderte, das Verb so weit an den Anfang des Satzes zu schieben, dass es mit bloßem Auge leicht zu erkennen sei.

Literaturtipp: Mark Twain „Die schreckliche deutsche Sprache“