Die Tragödie des Werwolfs

Wie die Deklination ein Familienglück zerstörte 

Werwölfe mag man nicht. Vor Werwölfen hat man Angst, man gruselt sich vor ihnen. Und niemals hat man Mitleid mit Werwölfen, wenn sie getrieben, gejagt und getötet werden.Was aber Christian Morgenstern seinen Werwolf in einem Gedicht erleben lässt, rührt fast zu Tränen.  

Der Werwolf  

Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: "Bitte beuge mich!"

Der Dorfschullehrer stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:

"Der Werwolf", sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den Wenwolf, - damit hat's ein End."
 

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle.
Er rollte seine Augenbälle.
"Indessen", bat er, "füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!"

Der Dorfschulmeister aber musste
gestehn, dass er von ihr nichts wusste.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

(Christian Morgenstern)

 

Kommentare (3) -

  • Bis jetzt war das Mondschaf mein Lieblingsgedicht von Morgenstern:

    Das Mondschaf steht auf weiter Flur.
    Es harrt und harrt der großen Schur.
    Das Mondschaf.
    Das Mondschaf rupft sich einen Halm
    und geht dann heim auf seine Alm.
    Das Mondschaf.
    Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:
    "Ich bin des Weltalls dunkler Raum."
    Das Mondschaf.
    Das Mondschaf liegt am Morgen tot.
    Sein Leib ist weiß, die Sonn' ist rot.
    Das Mondschaf.

    Aber der Werwolf ist auch unglaublich! :-D

Kommentar schreiben

Loading