Wörter wie alphabetische Prozessionen

Wenn Wörter eine Perspektive aufweisen 

Die deutsche Sprache ist ein fruchtbares Feld für Wortneuschöpfungen. Theoretisch ist es im Deutschen möglich, täglich ein Wort zu erfinden, das noch niemals zuvor jemand verwendet hat. Das ist fantastisch und  eine der augenfälligsten Besonderheiten des Deutschen. Und vor allem ist es den Komposita zu verdanken. 

Komposita sind zusammengesetzte Wörter wie z.B. Schriftzug oder Kinderbuch. Bemerkenswert dabei ist, dass nicht nur zwei Wörter zusammengesetzt werden können, sondern auch drei- und vierteilige Komposita keine Seltenheit darstellen (z.B. Frühlingsknotenblume, Kinderspielplatzwiese).  

Für Muttersprachler stellt das Zusammenfügen von Wörtern zu einem Kompositum kein Problem dar, weil die Notwendigkeit von Fugenlauten oder des implizierten Genitivs automatisch erkannt wird. So heißt es zwar Tagewerk, aber Tageslicht und Nachtlicht. Es hießt Kindergarten, Kindesentführung und Kindsmutter. Im Fremdsprachenerwerb müssen Komposita überwiegend als Ganzes gelernt werden, weil es keine generelle Regel für ihre Bildung gibt. 

Mark Twain – ihm wurde im Wunderland Deutsch bereits ein Artikel gewidmet – hatte wie die meisten Deutschlerner Schwierigkeiten mit dem Prinzip Kompositum. Die Länge der deutschen Wörter stellte für ihn die „seltsamste und merkwürdigste Besonderheit“ des Deutschen dar: Einige deutsche Wörter seien so lang, dass sie eine Perspektive aufweisen. Freundschaftsbezeigungen oder Stadtverordnetenversammlungen seien keine Wörter, sondern „alphabetische Prozessionen“: „Man kann jederzeit eine deutsche Zeitung aufschlagen und sie majestätisch quer über die Seite marschieren sehen.“ 

Das wohl berühmteste Kompositum ist Donaudampfschifffahrtskapitänskajüte samt Variationen. Und ein Videotipp für alle Barbaras: http://video.google.de/videoplay?docid=7984693450997973834

lmnt

Wörter aus Aussprachesilben 

Die einzelnen Buchstaben a, b, c … sprechen wir aus wie a – be – ze – de – e – ef – ge – ha – i – jot – ka … usw. So lässt sich aus den Aussprachesilben ha für h, u für u und be für b beispielsweise ha-u-be = Haube oder aus en für n und te für t en-te = Ente zusammenfügen. Aus lb wird Elbe, aus qp Coupé, aus bid beide oder aus tur teuer.

Im Folgenden gibt es eine Auswahl längerer Wörter, die man auf diese Art bauen kann: 

  • Sechs Buchstaben (wenn ausgesprochen): slei, ghb, gwb, trn (= Es-el-ei, Ge-ha-be, Ge-we-be, te-er-en)
  • Sieben Buchstaben (wenn ausgesprochen): bhun, ghun (= be-ha-u-en, ge-ha-u-en)
  • Acht Buchstaben (wenn ausgesprochen): lmnt (= El-em-en-te)
  • Zehn Buchstaben (wenn ausgesprochen) und damit das längste Wort, wenn jede Silbe nur einmal zugelassen wird: btiguc (= Be-te-i-ge-u-ze; ein Stern)

aus: Cus: „Der Coup, die Kuh, das Q. Das erstaunlichste Deutsch-Buch aller Zeiten"

Deutsch XXL

Eine Größe für sich  

Das Deutsche ist zusammen mit dem Luxemburgischen die einzige Sprache, in der Substantive und nominal gebrauchte Wortarten generell groß geschrieben werden. 

Geschichte der Großschreibung 

Ursprünglich dienten die Großbuchstaben als Mittel, um die äußere Form, das Aussehen des geschriebenen Textes zu gestalten (z.B. Überschriften, Initialen). Seit dem 13. Jahrhundert wurden mit ihrer Hilfe Eigennamen und Amtsbezeichnungen hervorgehoben (König, Kaiser …). Im Barock schließlich brach eine regelrechte Flut von Großbuchstaben los, um Wörter besonders zu betonen. Es gibt beispielsweise kaum einen Druck aus dieser Zeit, in dem das Wort „Gott“ nicht in Großbuchstaben geschrieben ist. Im Laufe der Zeit bildeten sich die heute gebräuchlichen Regeln heraus, an denen die Aufklärung mit ihrer Auffassung, dass das Substantiv das „Hauptwort“ sei und so große Aufmerksamkeit verdiene, nicht unwesentlich beteiligt war.

Diskussion um die Großschreibung

In der Frage, ob die generelle Großschreibung Hilfe oder eine Erschwernis darstellt, scheiden sich die Gemüter. Die einen hätten sie liebend gern im Zuge der Rechtschreibreform von 1996 zu Grabe getragen und empfinden sie als zusätzlichen Ballast im Dschungel der Orthographie, da die Regeln zur Groß- und Kleinschreibung vielfältig und oft auch für Muttersprachler undurchsichtig sind. Die anderen argumentieren mit Untersuchungen, in denen gezeigt werden konnte, dass ein Text mit groß geschriebenen Substantiven schneller lesbar ist und sich für das Querlesen besser eignet. Das Auge kann sich an den markanten Stellen im Text, den Großbuchstaben, festhalten, wodurch das Lesen erleichtert wird. 

 

Zwei Wörter sind zu wenig

oder „Der Tod einer Sprache“

Die deutsche Sprache hat im Allgemeinen den Ruf, eine komplizierte und schwierige (vor allem schwierig zu erlernende) Sprache zu sein. Dem Ektischen dagegen kann wohl nachgesagt werden, zu den einfachsten Sprachen gehört zu haben. „Gehört zu haben“ ist schon richtig, denn das Ektische gibt es seit dem von Franz Hohler beschriebenen tragischen Zwischenfall leider nicht mehr: 

Das Ektische gehört zu den toten Sprachen und scheint mir deshalb die interessanteste von allen zu sein, weil sie nur zwei Wörter hatte. Das erste hieß „M“ und das zweite „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“. „M“ ist weiblich und heißt „Was ist denn jetzt wieder los?“, und „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“ ist männlich und heißt „Nichts“.Das kam daher, dass die Ekter in einem erloschenen Vulkantrichter lebten, der tief im Innern immer noch rumorte. Jedesmal, wenn es rumpelte, schossen die Ekterinnen erschreckt auf und riefen: „M?“, worauf ihre Männer mit beruhigender Stimme sagten: „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks“. Das war das einzige, worüber die Ekter sprachen, alles andere erledigten sie in so großer Eile, dass ihnen keine Zeit zum Sprechen blieb.Ein unruhiges Land muss das gewesen sein, dieses Ektien.

Einmal kam es infolge von ungewöhnlichen Häufungen des Vulkangrollens sogar zu politischen Demonstrationen, bei denen eine große Zahl von Ektern vor das Rathaus zog und in Sprechchören die Worte „M! M! M!“ ausrief, worauf der ektische Präsident in einer großen Rede versicherte: „Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks!“ Dies stimmte allerdings nicht ganz, und der Präsident selbst wusste das auch, aber unglücklicherweise hatte er keine weiteren Ausdrücke zur Verfügung, und so gehört das Ektische heute zu den ausgestorbenen Sprachen. 

(aus Franz Hohler „Der Granitblock im Kino und andere Geschichten“) 

Wenn sich also das nächste Mal jemand bei Ihnen über Orthographie- oder Grammatikprobleme beschwert, erzählen Sie getrost diese Begebenheit als „Warnung“ vor Übersimplifikation! 

Dank an Herrn Anton Reyntjes, der dem Wunderland diesen Text zugesandt hat.

 

Klimakatastrophe, Bundestrojaner und Sterbetourismus

Wörter und Unwörter des Jahres 

Am Ende eines jeden Jahres werden Rückblicke und Bestandsaufnahmen verschiedenster Arten präsentiert. In diesem Rahmen wird auch der Sprachgebrauch der deutschsprachigen Länder analysiert und diverse Institutionen wählen die Wörter und Unwörter des Jahres. Die Jurys entscheiden sich für Wörter und Phrasen, die die öffentliche Diskussion des vergangenen Jahres besonders geprägt haben bzw. für wichtige Themen stehen.

Entscheidung für 2007

Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte „Klimakatastrophe“ zum deutschen Wort des Jahres. Das Unwort des Jahres, "Herdprämie", gab die Frankfurter Universität bekannt. Es setzte sich gegen die Begriffe "klimaneutral" (Platz 2) und "entartet" (Platz 3) durch. Die Universität Graz entschied sich für „Bundestrojaner“ als österreichisches Wort des Jahres. „Komasaufen“ setzte sich als Unwort des Jahres durch. Die Deutschschweiz kürte „Sterbetourismus“ als Wort und „Klimakompensation“ als Unwort des Jahres. Der ehemalige Vizekanzler von Österreich, Hubert Gorbach, steuerte unbeabsichtigt den österreichischen Satz des Jahres bei, indem sein Bewerbungsschreiben veröffentlicht wurde, in dem es heißt „The world in Vorarlberg is too small“. Peinlich für ihn, aber wohl wahr!

Höhepunkte der letzten zehn Jahre

  • Deutschland: „Reformstau“ (1997) und „Fanmeile“ (2006) als Wörter des Jahres; „freiwillige Ausreise“ (2006), „Entlassungsproduktivität“ (2005) und „sozialverträgliches Frühableben“ (1998) als Unwörter des Jahres.
  • Österreich: „Penthouse-Sozialismus“ (2006) und „Nulldefizit“ (2001) als Wörter des Jahres; „nichtaufenthaltsverfestigt“ (2001) und (immer wieder aktuell!) „Bubendummheiten“ (2004) als Unwörter des Jahres.
  • Schweiz: „Aldisierung“ (2005) als Wort des Jahres; „erweiterter Selbstmord“ (2006) und „Ökoterror“ (2004) als (ganz unglaubliche) Unwörter des Jahres.

 

"Es ist, als hätten sie zwei Augen."

"Man schaut sich den Umlaut an, und der Umlaut schaut zurück." (Michael McKean) 

Eine der auffälligsten Besonderheiten der deutschen Sprache ist auf den ersten Blick erkennbar, wenn man einen deutschen Text vor sich hat: es sind die Umlaute ä, ö und ü. Nicht viele Sprachen haben Umlaute in ihrem Alphabet und deshalb haben viele Deutschlernende mit ihrer Aussprache große Probleme. Aber nicht nur die Aussprache macht ihnen zu schaffen: die Umlaute führen mitunter auch zu Bedeutungsunterschieden wie etwa in zahlen – zählen, achten – ächten, fordern - fördern, wurde – würde, drucken - drücken ...

Wie entstand der Umlaut?

Die Umlaute entstanden – bildlich gesprochen – durch den „machtgierigen“ Vokal i (oder den Halbvokal j), der nicht nur seine eigene Silbe, sondern auch die vor ihm stehende Silbe beherrschen oder zumindest beeinflussen wollte: Der selbst helle Vokal i wollte den Vokal der vorausgehenden Silbe sich selbst ähnlich, also heller, machen. Diese „Machtbestrebnisse“ begannen mit der Beeinflussung des Vokals a, später wurden auch die  anderen Vokale umgelautet und im Laufe der Zeit entstanden unsere heutigen Umlaute ä, ö, ü. Im weiteren Verlauf der Sprachentwicklung bildeten sich Umlaute heraus, die nichts mit dem i-Umlaut, sondern mit Analogien zu tun haben.

Beliebtheit im angelsächsischen Raum

Umlaute erfreuen sich im angelsächsischen Raum einiger Beliebtheit. David Bergmann spricht in seinem Buch „Der, die, was?“ sogar von einem „Umlautneid“ und davon, dass Umlaute bewusst eingesetzt werden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Belege dafür finden sich beispielsweise in der Eismarke „Häagen Dazs“, deren Benennung nach einem Kunstbegriff erfolgte und für die Konsumenten europäisch klingen sollte, und im „Heavy-Metal-Umlaut“ (oder englisch „röck dots“). Mit diesem speziellen Umlaut schmücken sich Heavy-Metal-Bands wie Motörhead, Mötley Crüe oder Lääz Rockit, um fremdartiger zu wirken.

 

Die längsten Wörter ohne "e"

Welche langen Wörter haben kein "e"?  

e ist im Deutschen mit Abstand der häufigste Buchstabe. Wörter ohne e sind deshalb auch relativ schwer zu finden. Einige Beispiele langer Wörter, die auch im Duden stehen (Donaudampfschifffahrtskapitän ist zwar ein unglaublich langes Wort ohne e, steht allerdings nicht im Wörterbuch), sind hier angeführt: 

  • Aufsichtsratssitzung
  • Bruttosozialprodukt
  • Hauptschulabschluss
  • Individualtourismus
  • Organtransplantation
  • Strafvollzugsanstalt

Das zweitlängste Wort ohne e ist Fußballnationalmannschaft, das längste Wort mit 29 Buchstaben ist Wirtschaftsforschungsinstitut. 

(aus: Cus: „Der Coup, die Kuh, das Q. Das erstaunlichste Deutsch-Buch aller Zeiten“)

Verwandlungskünstler

Die „Zaubertricks“ der deutschen Verben   

In kaum einer anderen Sprache sind die Verben derart wandlungsfähig wie im Deutschen. Bei ihren „Zaubertricks“ assistieren ihnen Vorsilben verschiedenster Art, die die Bedeutung des Grundverbs nicht selten gänzlich verändern. Mit ihrer Hilfe können Sachverhalte präziser ausgedrückt und eleganter formuliert werden. Es gibt Verben, die Verbindungen mit einem ganzen Heer von Vorsilben eingehen können und jedes Mal ändert sich die Bedeutung.

Besonders wandlungsfähige Verben

  1. gehen: Spontan fielen mir elf mögliche Vorsilben für das Verb gehen ein – mit einer Liste von Vorsilben wurden es bedeutend mehr (wahrscheinlich sind mir trotzdem einige Möglichkeiten entgangen [womit auch gleich eine Verbform mit „gehen“ verwendet wurde]): angehen, aufgehen, ausgehen, begehen, durchgehen, eingehen, einhergehen, entgegengehen, entgehen, ergehen, fortgehen, heimgehen, heruntergehen, hervorgehen, hinaufgehen, hinausgehen, hineingehen, hintergehen, hinuntergehen, losgehen, mitgehen, nachgehen, niedergehen, übergehen, umgehen, umhergehen, untergehen, vergehen, vorbeigehen, vorgehen, weggehen, zergehen, zugehen, zurückgehen 
  2. fallen: Nicht so vielseitig wie gehen, aber dennoch beeindruckend: abfallen, anfallen, auffallen, ausfallen, befallen, durchfallen, entfallen, gefallen, hinfallen, herunterfallen, hinausfallen, hinunterfallen, missfallen, niederfallen, überfallen, umfallen, verfallen, vorfallen, zerfallen, zufallen, zurückfallen, zusammenfallen
  3. stehen: abstehen, anstehen, aufstehen, ausstehen, beisammenstehen, beistehen, bereitstehen, bestehen, dastehen, einstehen, entstehen, erstehen, gestehen, hervorstehen, herumstehen, missverstehen, nachstehen, verstehen, vorstehen, wegstehen, zurückstehen, zustehen

 

Damit aber noch nicht genug der Bedeutungsvielfalt: viele dieser Wörter haben nicht nur eine, sondern zwei oder mehrere Bedeutung. So kann beispielsweise untergehen im Sinne von „das Schiff geht unter“, „die Sonne geht unter“ als auch im Sinne von „er hatte das Gefühl, in der Menge unterzugehen“ gebraucht werden. Ähnlich verhält es sich mit vorgehen, das wie in „Lass mich bei dieser gefährlichen Tour vorgehen!“ oder wie in „Die Gesundheit muss vorgehen“ gebraucht werden kann.

Falls Ihnen noch weitere besonders „trickreiche“ Verben einfallen, freue ich mich über Ihre Vorschläge!

In der Kürze liegt ...

Was sind die kürzesten Wörter im Deutschen? 

Es ist kaum zu glauben, aber die drei kürzesten Wörter der deutschen Sprache, die der Duden vermerkt, sind tatsächlich: 

  • à (drei Eintrittskarten à 18 Euro)
  • i! (als Abkürzung für "Igitt!")
  • o! (als Abkürzung für "O weh!")